wir und Wir, 2003
  • Bildmontage 125 x 123 cm
    Bildmontage 125 x 123 cm
  • Bildmontage 125 x 123 cm
    Bildmontage 125 x 123 cm
  • Schrifttafel, 16 teilig
    Schrifttafel, 16 teilig
  • 31,25 x 30,75 cm
    31,25 x 30,75 cm
  • 31,25 x 30,75 cm
    31,25 x 30,75 cm
Kleid, Tschador, Glasrahmen,
siebbedruckt, gestückelt und genäht
Ausstellung: Kunstverein Vreden, 2004
weltbekannt e.V, Hamburg, 2004
"wir und Wir"
Farideh Jamshidis Fotoinstallation "wir und Wir" besteht aus drei eigenen Bildtafeln. Zwei Fotoarbeiten im großen, quadratischen Format sind nebeneinander angeordnet. Gegenübergestellt ist eine etwa gleich große Schrifttafel mit einem Text von Farideh Jamshidi in persischen Schriftzeichen. Der Betrachter tritt in den Raum zwischen den Tafeln.
Die Fotos sind digital montierte Fotoarbeiten mit komplexer interner Spiegelstruktur. Diese verschachtelte Struktur ergibt sich nicht nur virtuell aus der Bildmontage, sondern auch durch den realen Raum des Bildgegenstandes. Der allgemeine Bildraum zeigt nämlich als Organisationsfläche der Bildinhalte einen wandgroßen Spiegel mit Ornamentbordüre. Der Raum wird im Spiegel ähnlich den Herrschaftsräumen des Barock mit Attributen wie Marmor, Glaslüster und entsprechendem Mobiliar widergegeben.
Die zwei Frauen auf den jeweiligen Fotos zeigen die Künstlerin selbst in unterschiedlicher Kleidung und Haltung. Die eine Frauenfigur auf den Fotos trägt den Tschador (Tuch). Kopf und Körper sind mit dunklem, die Frau mit Ausnahme des Gesichtes fast gänzlich bedeckendem Stoff umhüllt. Das Wort Tschador kommt aus dem Persischen und bedeutet soviel wie "Zelt". Der Tschador ist spezifisch iranisch und an seiner Geschichte lässt sich eindruckvoll verfolgen, wie ein Kleidungszwang als starkes Symbol die Ausübung, Duchsetzung und Kontrolle von Macht spiegelt. Während Mitte der zwanziger Jahre die Pahlawi-Dynastie den Frauen das Tragen des Tschador streng verbot, wurde nach der iranischen Revolution Ende der Siebziger das Tragen des Tschador für alle – auch nichtmuslimischen Frauen – Pflicht. Der Tschador darf nur Gesichtsfläche und Hände der Frau freilassen. Die andere Figur auf dem Foto hingegen trägt ein schulterfreies, weißes Kleid. Die Haare bedecken fließend mit leichter Lockung die entblößten Schultern und Arme.
Aus der Spiegelkonstruktion erschließt der Betrachter, dass die dunkle und verhüllte Person sozusagen real im Raum jenseits des Bildrahmens und als Spiegelbild im Bilde selbst der Person in Weiß gegenüber und gleichzeitig im Rücken steht. Dabei ist zu bedenken, dass durch die Schrifttafel der Installation eine Leserichtung – entgegen der westlichen – von rechts nach links vorgegeben ist. Die Bildästhetik erscheint durch die „halbnahe" Einstellung eher der Dramaturgie des Kinofilms als der der Modefotografie entlehnt. Gleichwohl evoziert die Eleganz der Darstellung auch Anklänge an die Bildsprache der Modewelt.
Die Hände spielen in der seriellen Verbindung der beiden Bilder eine leitende Rolle. Denn beide Bildinhalte sind deckungsgleich, bis auf den kleinen Unterschied, dass in Tafel "zwei" aus dem Tschador-Umhang eine Hand hervorgenommen wird. Sie verweist auch durch die Identität des Schmuckes am Handgelenk deutlich auf die Hand der Frauenfigur im weißen Kleid.
Die Spiegelung ist zugleich vertraut und rätselhaft, weil dieselbe Realität zwar erkannt, aber durch die veränderten Zuordnungen auch verfremdet wird. Bei diesem großen Motiv - auch innerhalb der abendländischen Kulturtraditionen - geht es um die Befragung, dem Versuch eines Erfassens und möglicherweise in letzter Konsequenz auch um das Konstituieren der eigenen Identität. Das Gegensätzliche wird erkannt, aber nicht einfach vereint. Es geht um das Mischen und Erfahren von Prozessen der Eigen- und Fremdwahrnehmung. Statisches Verharren und wahrnehmungsoffene Entwicklung, Verschlossenheit und Offenheit, aber auch Misslingen und Gelingen dynamischer Prozesse, sind mit diesem Thema eng verknüpft.
Der ikonografisch geschulte Betrachter wird den Reichtum der Bildanklänge in der Installation von Farideh Jamshidi relativ zügig erkennen. Nicht als Paraphrase, sondern – der Bildkonstruktion angemessen – als offenen Raum von Verzweigungen, der die Angebote der Bildaussage stabilisiert und erweitert.
Die weiße Figur - als Verweis auf Botticellis "Geburt der Venus" gedacht – verdichtet Momente der Ichfindung als Frau. Sie ist Entwurf und Gegenbild, archetypisch, konkret gesellschaftlich und utopisch zugleich. Wichtige Kippmomente in der Installation "wir und Wir" gewinnt Farideh Jamshidi zudem mit der bewußten Nutzung von Bildverfahren, die seit dem Surrealismus bekannt sind und die in Teilen eine Übertragung der Syntax und Semiotik des Traums und des Unbewussten in die Werkstatt des Künstlers waren. Installativer Raum, Bildserie und Bildinhalt inklusive Text als chiffrenartiger Bildbeigabe, ergeben ein räumliches und ästhetisches Dispositiv und Versuchsfeld, das für einen Zeitraum die Blicke und den Geist der involvierten Personen, leitet und rahmt, ein laborartiger Mechanismus, der wie eine "gelenkte Neuheitsmaschine" wirkt und den Betrachter zu einer neuen psychischen Realität leitet. In diesem Sinne erfährt der Prozess der Ich-Findung im vorgestellten eine poetische Verdichtung wie wir sie von Calderon und Grillparzer kennen: „Der Traum ein Leben – das Leben nur ein Traum".
Josef Spiegel / Heinz Kock